Die Aufgabe

  • Also geschrieben hat das eine Freundin von mir. Ich fand das Teil so beeindruckend das ich sie um Erlaubnis gebeten hab um euch das mal lesen zu lassen

    [size=36]Die Aufgabe[/SIZE] von JellyCat

    Der Wind war kalt.
    Er schnitt mir wie Rasierklingen schmerzende Wunden in die Arme und ließ meine Augen tränen. Ich fühlte mich wie betäubt von den eisigen Wogen und dem kalten Regen der unaufhaltsam auf mich herab prasselte. Die Skyline der Stadt tauchte den sich sachte bewegenden Fluss in ein einen Spiegel voll kleiner, leuchtender Punkte, während ihre Lichter zwischen dem Regen vertrübten.
    Der Wind jagte mir die Haare um die Ohren, versperrte mir gelegentlich die Sicht und ließ mich frösteln. Ich sah meine Füße an, die da so lässig und völlig unbedacht von der Brücke baumelten, unter ihnen tosendes und rauschendes Wasser.

    Mit eisigen Händen zog ich mich am Geländer herauf, lehnte mich über die Brüstung und blickte in das schwarze, unbändige Wasser hinab.
    Es dauerte nicht lange bis ich auf der anderen Seite der Balustrade stand, die feuchte Sohle stetig abrutschend auf dem Metall, die kalten Finger nur halbherzig um das Geländer geschlungen. Ich atmete tief, mein Körper zitterte und ich war froh, dass man meine Tränen zwischen dem Regen auf meiner Haut nicht ausmachen konnte. Obwohl es egal war. Schließlich war ich allein und-
    „Soll ich dich aus dem Wasser fischen wenn du nur ein gebrochenes Bein hast und nicht absäufst? Oder nur Querschnittsgelähmt bist und das mit dem verrecken nicht klappt?“ Eine tiefe, ruhige Stimme riss mich so sehr aus meinen Gedanken, dass ich beinah den Halt an der Brüstung verlor und meine Füße für einen Augenblick in der Luft hingen. Nach wenigen Sekunden hatte ich meine Selbstbeherrschung jedoch wieder und drehte verwundert den Kopf zu dem Fremden um.
    Ich kannte ihn nicht; Sein blasses Gesicht war das einzige, was ich tatsächlich sehen konnte. Er wurde von der Dunkelheit verschluckt, die Augen wirkten schwarz. Die kurzen Haare schmiegten sich an seinen Kopf als er mir die Hand hinstreckte. „Komm schon. Du kannst nachher immer noch springen.“
    Ich krallte mich an dem Metall fest, meine Fingerkuppen schmerzten unter der Last und meine Füße rutschten immer wieder ab. Dennoch blieb ich in dieser unbehaglichen Situation und verrenkte mir beinah den Kopf um den Fremden sehen zu können. „Komm schon, zisch ab. Du brauchst mir nicht noch die verdammten letzten Minuten dieses beschissenen Lebens zu versauen! – Was glaubst du, wer du bist?“
    „Ich weiß wer ich bin.“, antwortete er ruhig ohne seine ausgestreckte Hand zurück zu nehmen. Der Wind rüttelt an meinem frierenden Körper und meine Finger lösten sich langsam unter dem großen Gewicht vom Geländer.
    Ich versuchte dem Fremden in die Augen zu sehen, doch die Nacht hüllte sie in ein so tiefes schwarz, dass ich nichts anderes erkennen konnte.
    „Du hast doch nichts mehr zu verlieren, oder?“, flüsterte er herausfordernd und berührt mit seinen Fingerspitzen vorsichtig mein Gelenk. Ich löste meine Hände vom Geländer und reichte ihm erst die eine, dann die andere, drehte mich auf dem nassen Metall um und stieg über die Brüstung.

    Schweigend setzten wir uns auf den Asphalt der verlassenen Brücke; Es war tief in der Nacht, der Großteil meiner Mitmenschen verbrachte diese Zeit eher selten auf Brücken wie dieser. Das ich dennoch nicht allein war, wunderte mich.

    Meine Beine baumelten erneut über dem Wasser, meine zitternden Hände lagen taub auf den Metallstangen des Geländers.
    „Bilde dir ja nichts darauf ein, dass du mir mein Leben gerettet hast! Wenn du mich heute abhältst, dann springe ich eben morgen.“, antwortete ich in die berauschende Stille herein, während Regentropfen sich mit den Tränen auf meinem Gesicht vermischten. Doch meine Stimme klang dabei hart, hart wie immer.
    „Leute wie du beschaffen mir meinen Arbeitsplatz, Schätzchen, ich hätte keinen Grund mich zu beschweren und erst Recht nicht, mir etwas darauf einzubilden.“
    Ich fragte mich, an welchen bekloppten Menschen ich hier geraten war. Warum glaubte ausgerechnet er mich retten zu müssen? Warum kam nicht wenigstens ein gutaussehender Mann vorbei? George Clooney? Johnny Depp?
    Waren es immer dieselben Idioten die glaubten die Welt zu verbessern?
    Gleichzeitig sahen wir zum wolkenverhangenen Himmel auf, Regentropfen fielen mir gelegentlich in die Augen und ließen mich für einen kurzen Moment erblinden. Zwischen den Wolken sah man ein kleines Stück freien Himmels, in dem Sternen sanft leuchteten und mich an die Heimlichkeit und Besinnlichkeit an Weihnachten erinnerten, die man mittlerweile jedoch durch Konsum und Habgier ersetzt hatte.

    Fast als würde der Himmel selbst mich auslachen, schickte er mir eine besonders klare Sternschnuppe ins Blickfeld, die sich kurz zwischen den Wolken zeigte, bald aber wieder in ihnen verschwand.
    „Yerahmeel du verdammter Prolet!”, fluchte der Mann neben mir und wandte den Blick nicht von dem freien Stück Himmel und der Sternschnuppe die auch ihm nicht entgangen war. „Guck ihn dir an!“, sagte er zu mir gewandt und deutete auf einen erneut auftauchenden Meteorit zwischen den Wolken. „Er kann es einfach nicht lassen!“
    „Gott was für ein Spinner bist du?!“ Ich rutschte ein Stück von ihm ab in der Hoffnung, dass sein Wahnsinn nicht ansteckend war. Er senkte den Kopf, sah mich durch die schwarzen Augen friedlich an, zuckte die Schultern und machte eine abwertende Geste. „Gott jedenfalls nicht. Und auch kein Spinner. Na bitte, jetzt wird die Auswahl ja wohl schwindend gering.“
    Ich schüttelte den Kopf und wandte mich von dem seltsamen Kauz ab. Für einen Augenblick überlegte ich, ob ich aufspringen und mich förmlich über die Brüstung werfen sollte, vor seinen Augen, um ihn immerhin sein Leben zu vermiesen, wenn er schon meinen Abgang durcheinander brachte.

    „Was hat dich so wütend gemacht?“, fragte er schlicht, fast so, als hätte er gerade meine Gedanken gelesen. Seine Stimme klang belanglos, seine Gestalt wirkte beinahe gelangweilt. Ich stütze meine Hände auf dem Asphalt links und rechts von mir ab, lauschte dem Wind und dem Regen, sah auf die Stadt in einigen Kilometer Entfernung und sagte schließlich: „Sie. Sie alle.“
    „Die Hochhäuser?“
    „Nein verdammt, die Menschen da drin!“
    Er lachte und erwiderte etwas vorsichtiger: „War ja auch nur’n Scherz.“
    Es trat eine angenehme Stille ein, gefüllt durch Wasserrauschen und das Surren des Windes, während die Regentropfen meine Kleidung durchtränkten und sich den Weg über meinen Körper bahnten.

    „Du bist hier öfters?“, fragte ich schließlich und musste zugeben, dass ich mich in der Gegenwart des Irren irgendwie wohl fühlte. Vielleicht hatten wir etwas gemeinsam: Unseren Wahnsinn, in welcher Hinsicht auch immer.
    „So oft wie man mich braucht.“ Lautete seine friedfertige Antwort. „Glaubst du nicht, dass du ein wenig ungerecht zu ihnen bist?“
    In diesem Augenblick schlug ein Blitz am Horizont ein, kurz darauf folgte bedrohliches grollen und der Fremde murmelte etwas, dass ich nicht verstand.
    „Ungerecht zu wem?“
    „Na zu ihnen, den Hochhäusern.“ Er zwinkerte mir zu und ich konnte nicht umhin Sympathie für ihn zu empfinden. Was war das für ein Mann? Jemand, der mich in einer sonst gottverlassenen Nacht von der Brüstung holte, um jetzt mit mir auf nassem Asphalt zu sitzen und zu frieren? Um zu reden?

    „Du hast einen vorgeschriebenen Todestag.“, sagte er ruhig, ohne jede Spur Humor. „Und der ist nicht heute, Mädchen. Du könntest dich von dieser Brücke stürzen und du würdest nicht sterben; du könntest versuchen dich zu erschießen aber keine Waffe dieser Welt hätte genug Munition um dich zu töten.“
    Ich lachte hohl. Klang das nicht paradiesisch?
    „Du hast eine Aufgabe, und sie lassen dich erst nach oben“, er richtete seinen Blick zum Himmel „bis du sie erledigt hast.“
    Ich sah ihn an und hatte plötzlich keinen Zweifel daran, dass das was er sagte, der Wahrheit entsprach. Er legte kurz seine Hand fast unspürbar auf meine und quittierte dann meine Gedanken mit: „Nein, deine Aufgabe ist es nicht all die Menschen umzulegen, die dir weh getan haben. So sind sie, die Menschen.“ Er lachte und deutete auf die Stadt vor uns. „Was meinst du wie viele dieser Lichter noch leuchten würden, wie viele dieser Autos du noch hören könntest, wenn wir alle umbrächten die uns nicht in den Kram passten? Ein ziemlich einseitiges Spiel, findest du nicht?“

    Der Regen verflüchtigte sich, der Wind wurde ruhiger und die dunklen Wolken zogen weiter. Ein Auftakt für einen Neuanfang.
    Ich wischte mir über das Gesicht, rutschte an den Fremden heran und seufzte. Das ich nicht töten durfte, war ein verdammter Spaßverderb. Aber was war denn meine Aufgabe?
    „Ey, absolute Schweigepflicht. Die werden mich von meinem Posten schmeißen, wenn ich dir nur den kleinsten Hinweis gebe.“, kam er mir grinsend zuvor, legte seine Hand auf meine Schulter und drückte sie kurz.
    „Und das will ich wirklich nicht riskieren. Verdammt, die bezahlen gut! Weißt du, für das ewige Paradies legt man auch solche Sonderschichten ein.“ Er erhob sich lautlos und beinah schwebend, doch als er vor mir stand, sah er aus wie ein ganz normaler Mensch, mit tief dunkeln Augen. Er reichte mir seine Hand und als ich sie ergriff um aufzustehen, durchströmte mich eine regelrechte Genugtuung.
    Er ging ein paar leichte Schritte zum anderen Ende der Brücke und ich folgte ihm schweigend. Obwohl ich durchnässt war, fror ich nicht mehr. Mir erschien die Anwesenheit dieses Menschen, dieses Engels oder was auch immer er sein musste, unheimlich kostbar, und mit einem Augenschlag schien er meine Last genommen zu haben.
    „Sieh mich nicht so an!“, brummte er strafend und blickte mir mit ernstem Gesicht in die Augen. „Du findest hier keine Flügel, und erst recht keinen Heiligenschein. Meinst du nicht, das wäre ein wenig auffällig? Wir arbeiten in Zivil, auch wenn ihr jedes Mal diese dämliche Kostümierung erwartet.“

    Wir erreichten das Ende der Brücke, und der seltsame Fremde stellte sich vor mich, um mir freundschaftlich die Hände auf die Schultern zu legen. Der Schatten der vorbei ziehenden Wolken bedeckte sein Gesicht und ich konnte es nicht genau ausmachen, ebenso wenig wie seine ganze Person. Er schien wie ein verschwommener Schleier vor meinen Augen.
    „Wehe du stehst hier morgen Nacht schon wieder! Ich hab mir zwar frei genommen aber den Bereitschaftsdienst am Hals, also wage es bloß nicht! Ich werde morgen weniger wohl gesonnen sein, das kannste mir glauben, Kind.“
    Mir fehlten die Worte um zu sagen was ich dachte, mir fehlten die Gesten um zu zeigen was ich fühlte, mir fehlten die Gedanken um zu begreifen was mit mir geschah.

    „Sei ein Mensch mit Werten.“, sagte er leise, legte seine Hände in meine und überbrachte mir damit ein tief zufriedenes Gefühl. „Sei jemand der liebt, nicht hasst, sei jemand der vergibt, nicht straft, sei jemand der treu ist, nicht vergänglich. Werde nicht wütend durch die anderen“, er machte eine kurze Pause, lachte und fuhr fort: „Hochhäuser, mach dich nicht durch und für sie kaputt. Lebe als Unikat, sterbe nicht als Kopie. Und wenn es sein muss, bleibe der einzig faire und richtige Mensch, der einzige Mensch mit Werten und Achtung auf dieser Welt, sollte auch der Rest um dich einstürzen. Orientiere dich nicht an dem schlechten.“ Er holte tief Luft, entzog mir seine Hände, trat einen Schritt zurück und flüsterte mit vorsichtigem Lächeln: „Und fahr’ nicht Auto, wenn du getrunken hast!“

    Ich wollte gerade die Hand nach ihm ausstrecken, da erfasste ich nichts als kalte, klare Nachtluft. Er war verschwunden, einfach weg! Ich drehte mich um, die verweinten Augen suchten den vermeintlichen Retter meiner Seele. Doch er war nicht mehr da.

    "Wo bist du hin?", flüsterte ich und fühlte mich wie das kleine, vierjährige Mädchen das damals auf dem Spielplatz ihren Teddy verloren hatte.
    Wie benommen starrte ich auf die Stelle an der der Fremde soeben noch gestanden hatte. Die dunklen Augen die mich durchbohrten, die gutmütige Aura und die tiefe, ruhige Stimme. Verschwunden, mit einem mal. "Engel?", flüsterte ich erneut, die Hände ausgestreckt als könnte ich ihn jeden Augenblick erfassen. "Engel, wo bist du?"

    Am darauffolgenden Abend saß ich wieder hier, auf der alten Brücke. Der Himmel war klar, die Wolken hatten sich verzogen. Meine Beine baumelten über dem Wasser, der Blick streifte zur Stadt. Ich richtete meine Augen auf den Sternübersäten Himmel, atmete die kühle Luft ein, klammerte meine Hände an die Reling bis ich eine Sternschnuppe erblickte, und in meinem Ohr die Stimme des Fremden sich energisch räuspern hörte.
    „Keine Sorge Fremder, ich genieße nur die Nacht und suche meine Aufgabe. – Aber solltest du Zeit haben und deinen Urlaub beendet, so melde dich doch bei mir. Vielleicht können wir mal was trinken gehen, natürlich ohne danach Auto zu fahren.“, flüsterte ich, und richtete meine Augen auf eine Stelle einige Meter entfernt, wo ein kleiner, silberner Punkt eine kleine Lichtquelle reflektierte.
    Ich stand auf, ging dem seltsamen Flackern entgegen und erkannte, als ich nur noch wenige Meter entfernt von ihr stand, einen jungen Mann, der ähnlich wie ich am Vorabend zuvor auf der anderen Seite des Geländes stand, den Blick auf das rauschende Wasser gerichtet.

    „Er wird böse werden, wenn du ihn zum Bereitschaftsdienst rufst.“
    Ich hatte das Gefühl das ich selbst gar nicht die Worte gesagt hatte, obwohl sie aus meinem Mund gekommen waren. Sie schienen mir wie vorprogrammiert, abrufbar für solche Situationen.
    Der junge Mann wandte mir langsam sein Gesicht zu, Tränen rannen auf ihm hinab. „Na komm schon, gib mir deine Hand, ich hab dir was zu erzählen. Und falls es dich langweilt, kannst du danach immer noch springen.“ Ich streckte ihm meine Finger entgegen, und nach kurzem überlegen ergriff er meine Hand. Er stand wie ein Häufchen Elend vor mir, zitternd, den Kopf tief gesenkt.
    „Ich fürchte, du bist meine Aufgabe.“, murmelte ich lächelnd, sicher, dass mir der Fremde den Weg zeigen würde. Ich legte meinen Arm um seine kalte Schulter und zog ihn mit mir, als ich dem Ende der Brücke entgegen schritt.
    „Und stell’ dich schlau an, wenn ich meine Sache gut mache, komm ich ins Paradies.“
    Der Mann neben mir schien zu Recht verwirrt, lauschte jedoch wie benommen meinen Worten. Er blieb allerdings stehen als wir das Ende der Brücke erreichten, sah in das Wasser unter ihm und schüttelte den Kopf. „Hat doch alles keinen Sinn.“, brummte er und erneut überströmten Tränen sein Gesicht.
    „Ey Alter, du stirbst heute nicht. Geb’ ich dir mein Wort drauf. Und ich leider auch nicht, obwohl die da oben scheinbar gute Konditionen haben. – Na komm schon, gehen wir was trinken, verdammt. Gib mir deine Hand, Freund. Werden wir die einzigen Menschen mit Werten.“


    Ist klar das die Geschichte ohne Einwilligung der Autorinnicht weiter gegeben werden darf.


    Über Konstruktive Kritik wäre die Autorin sehr dankbar

  • in dieser Geschichte wird ein Wunschdenken beschrieben.

    Man wünscht sich, dass "ein Engel" so zu erkennen ist

    Geht einmal euer Leben durch, mag es auch noch kurz sein, aber seid ihr nicht manches Mal "Engel" bzw. helfenden Menschen begegnet, von denen man es nicht gedacht hätte, oder die einem "einfach so" geholfen haben. Auch umgekehrt, habt ihr nicht mal "aus dem Bauch heraus" einen Dienst erwiesen?

    Viele Gelegenheiten sind einem auch im Moment gar nicht bewußt, erst im Nachhinein erkennt man den "Zufall" im Zusammenhang.

    Wie gesagt, die Geschichte ist gut geschriebe, aber in der Realität nicht so deutlich zu erkennen.

  • :daum:vermutlich ist der erste engel auich nur jemand der mal gerettet wurde?
    schöne geschichte auf jeden fall. :daum:

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