Abzigal der Träumer
Abschnitt 1 - Abzigal
Die Sonne schien auf Abzigals Nacken. Er lag im grünen Gras und blickte aus großen, braunen Augen in den blauen Himmel. Wie gerne würde er doch dort oben sein, jedoch durfte er keine Aufmerksamkeit erregen. Sein Plan sollte in aller Stille verlaufen, und ohne dass ihn irgendjemand dabei sah. Niemand, ja absolut niemand sollte wissen, was er vorhatte: Er wollte sich mit den letzten noch lebenden Drachen verbünden und gemeinsam mit ihnen die Menschheit ausrotten, so wie sie es vor langer Zeit mit den meisten Drachen getan hatte, weil sie nicht wahrhaben wollte, dass diese Tiere friedlich sein konnten. Und jetzt, nachdem dies geschehen war, waren sie es auch nicht mehr.
Abzigal musste eine Armee aufstellen, eine Armee der Drachen. Die meisten waren in die höchsten Berge geflohen und hatten sich dort ihre Behausung eingerichtet, ungestört jener die sie jagten.
In menschlicher Gestalt, so, wie er sie im Augenblick angenommen hatte, würde es schwer werden, die Berghänge zu passieren, jedoch musste er es riskieren, denn wie schon gesagt, er wollte keine Aufmerksamkeit auf sich und die letzten fünfzig Drachen lenken.
Fünfzig, durchfuhr es ihn mit Schrecken. Was für eine grauenvolle Zahl, dachte er bitter. Wie konnten die Menschen nur so viele seiner Freunde und Gefährten ausrotten?
Auch seine Familie war ermordet worden. Er hatte die Nacht nicht in der Höhle sondern bei seiner Freundin Avania verbracht und seine Mutter Neorah am nächsten Tag tot in der Höhle aufgefunden. Er hatte ein ohrenbetäubendes Brüllen ausgestoßen und sich geschworen, die Mörder zu finden. Ein paar Monate später fand er auch seinen Vater tot am Waldrand liegend. Seitdem hatte er sich geschworen, die Menschheit auszurotten und nicht aufzuhören, bis nicht jeder Einzelne von ihnen blutend am Boden lag.
Er lag noch eine Weile da und starrte in den Himmel, der mittlerweile eine graue Farbe angenommen hatte, welche auf Regen und Gewitter hindeutete. Dann stand er auf und machte sich mitsamt seinem Gepäck (Verpflegung) auf den Weg zum Berg Sulinad, wo er sich mit den letzten noch lebenden Drachen treffen wollte.
Abschnitt 2 – Das Treffen
Es wird langsam Nacht, dachte Abzigal. Eine gute Vorraussetzung für unser Treffen. Er kletterte den Berg unter größter Anstrengung hoch. Oben angekommen warteten die anderen Drachen (natürlich alle in Menschengestalt) schon auf Abzigal. Ihr Anführer, Droandor, trat aus dem Schatten hervor und erhob seine mächtige Stimme: „Willkommen, alle die, die ihr die Menschen, die uns so viel Leid tun und getan haben, hasst!“ Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: „Heute wollen wir uns versammeln, um die Menschheit auszurotten! Wir werden sie aus ihren Behausungen verscheuchen, sie töten und ihre Dörfer und Städte vernichten!“ Die andren Drachen stießen ein Brüllen aus. „Außerdem“, fuhr Droandor fort, „werden wir alle Abtrünnigen unserer Art vernichten! Alle, die den Menschen dienen oder sich mit ihnen verbündet haben!“ Wieder stießen die Drachen ein Brüllen aus, welches von den Hängen der anderen Berge wiederhallte.
Droandor wartete einen Moment, dann sagte er: „Lasst uns aufbrechen, ich werde vorfliegen und euch den Weg zeigen. Sicher wisst ihr ihn selbst, jedoch wollen wir einen geheimeren, weniger gefährlichen Weg benutzen.“
Droandor verwandelte sich und stieß sich mit den Hinterbeinen hoch in den wolkenverhangenen Himmel. Die Drachen, einer nach dem andren, taten es ihm gleich.
Abschnitt 3 – Verbannt und weg von Avania
Sie flogen nun schon mindestens eine halbe Stunde ununterbrochen und bis jetzt war noch kein Landeplatz in Sicht. Plötzlich flog Droandor eine scharfe Kurve. Kurze Zeit später landete er auf einer riesigen grünen Wiese. Die Anderen taten es ihm gleich.
Droandor richtete sich zu voller Größe auf und sagte: „Wir müssen diesem Weg“, er deutete auf einen mit Kieseln bestreuten Pfad, „folgen, dann kommen wir automatisch zum Dorf der Menschen.“
Plötzlich durchfuhr Abzigal ein Gedanke: Nicht alle Menschen sind böse. Dieser Gedanke verschwand genauso schnell, wie er gekommen war. Trotzdem sagte Abzigal: „Aber woher willst du wissen, dass alle Menschen böse sind?“
Droandor wandte sich blitzartig zu ihm um. „Glaubst du etwa, in einem Menschen steckt etwas Gutes?“ Die Art, wie er das Wort Mensch betonte, gefiel Abzigal nicht.
„Jaah, allerdings!“, sagte Abzigal trotzig. Daraufhin erwiderte Droandor: „Dann sollst auch du verdammt sein! Los Jungs, töten wir ihn!“
Abzigal flog los. Er achtete nicht darauf, wohin er flog. Wenigstens weg von diesen Irren, dachte er.
Er hörte Flügelrauschen, die Anderen mussten ihm dicht auf den Fersen sein. Wieso konnte er auch nie still sein? Er hörte ein Rauschen und spürt Hitze, ein Drache muss Feuer nach ihm gespieen haben, aber ihm war es egal. Wenn man verbannt und getötet wird, nur weil man seine Meinung sagt, ist es den Tod wert, dachte Abzigal.
Plötzlich spürte er, wie die Drachen kehrt machten. Droandor sagte: „Du bist jetzt an der Grenze des Drachenreichs angekommen, Abzigal. Solltest du noch einmal zu uns zurückkehren, bist du des Todes.“
Er wurde also verbannt, weil er seine Meinung gesagt hatte. Schön, dachte er. Er achtete nicht darauf, ob Droandor kehrt macht, er war so wütend und stieß ein lautes Brüllen aus.
Die Sterne standen hoch am Himmel, als Abzigal seinen Schlaf fand. Er hatte über den heutigen Tag nachgedacht. Wieso konnte er nie ruhig sein? Sonst hätte er jetzt viele warme Körper um sich gehabt und was ihm am wichtigsten war: Avania.
Weil er seine Meinung gesagt hatte, hatte er sie verloren...Für immer. Die Worte hallten in seinem Kopf nach. Er würde sie nie wiedersehen. Was würde passieren, wenn er sie vergessen würde (auch wenn das schwer werden würde)?
Seinen Plan, die Menschheit zu vernichten konnte er ohne Hilfe wohl auch vergessen.
Abzigal probierte, nicht weiter darüber nachzudenken. Er war ohnehin zu müde, um noch klar denken zu können. Und bevor er noch weiter über das Thema nachdachte, übermannte ihn der Schlaf.
Abschnitt 4 - Avendral
Als Abzigal am nächsten Morgen aufwachte wunderte er sich zunächst wo er war, dann jedoch fiel ihm der gestrige Tag wieder ein. Schnell probierte er es zu verdrängen, schaffte es aber nicht. Es war einfach zu viel passiert.
Er sah sich um: Die felsige Landschaft wirkte verlassen und kahl.
Wo bin ich überhaupt? Er sah in die Ferne, wo er ein kleines Dorf erblickte.
Plötzlich hörte er ein Rascheln und Sekunden später war er von Menschen umzingelt, welche ihre Speere auf ihn gerichtet hatten.
Was wollen die von mir?, fragte er sich und richtete sich auf. Ein Mensch schrie panisch.
Abzigal wunderte sich, drehte sich um, doch da war nichts. „Was ist los?“ Auf einmal durchfuhr ihn ein Schauer: Seine Menschenstimme klang tiefer als sonst. Er war im Augenblick kein Mensch, sondern ein Drache. Er hatte sich nicht verwandelt.
Schnell stieß er sich mit den Hinterbeinen ab und flog ein paar Meilen fort.
Sicher werden sie mich jetzt suchen, dachte der Drache. Ich muss mir irgendwo ein Versteck suchen.
Zuerst dachte er an die Berge, die jedoch zu gefährlich waren, weil dort die Riesen hausten. Zurück zu den Drachen konnte er auch nicht, dort würde man ihm den Tod bescheren. Er könnte sich eine Höhle suchen, welche von den Riesen noch nicht beschlagnahmt wurde, jedoch würde er ihnen in den Bergen so und so begegnen.
Natürlich könnte er auch bei den Elfen Unterschlupf suchen.
Was andres bleibt mir wohl kaum übrig, dachte Abzigal grimmig.
Er flog in Richtung Avendral. Dort angekommen landete er vor den riesigen, prunkvollen Toren. Schon aus der Ferne ragten sie majestätisch gen den Himmel auf.
Als Abzigal näher trat sah er zwei Gestalten an beiden Ecken der Tore stehen. Sie trugen beide Lanzen in der rechten Hand und ein Schild in der Linken.
Abzigal ging zögernd noch ein paar Schritte weiter, da richteten die beiden Elfen ihre Lanzen genau auf sein Herz.
„Was willst du?“, fragte der Rechte in kühlem Ton.
„Ich suche einen Unterschlupf, weil mich meine Herde verbannt hat. Ich hoffe, ihr gewährt mir Einlass.“
„Das werden wir“, sagte der Linke. „Tu jedoch nichts Unüberlegtes, sonst bist du des Todes. Wir werden dir Aufgaben auferlegen, um zu sehen, wie treu du Magvoyan und Onaghius, dienst.“
Abzigal trat ein. Die Tore schlossen sich hinter ihm. Er hatte schon viel über Magvoyan und Onaghius gehört.
Magvoyan war der Gott der Elfen. Er soll sehr stark, wendig und sehr mutig gewesen sein.
Onaghius war der Herrscher des Elfenreichs. Er war sehr mächtig, er beherrschte das komplette Gebiet südlich und östlich von Avendral.
Ich frage mich, dachte der Drache, wann ich diese Aufgaben bewerkstelligen soll. Zuerst dachte er daran, noch einmal zurück zu gehen, dann jedoch besann er sich anders. Das würde albern aussehen. Abzigal schüttelte den Kopf.
Er nahm die Gestalt eines Menschen an, sodass nur die Torwächter wussten, was er wirklich war. Natürlich würde Onaghius auch davon unterrichtet werden. Vielleicht würde es auch die ganze Stadt wissen.
Ich hätte doch lieber gleich als Mensch kommen sollen, dachte Abzigal bitter. Jetzt jedoch kann ich es wohl nicht mehr ändern, außer ich verlasse die Stadt noch einmal als Drache und komme ein paar Stunden später als Mensch wieder.
Dies war zwar sehr umständlich, aber sicherer. Zuerst erwog der Drache, es wirklich zu tun, ließ es dann aber bleiben. Schließlich wussten es nur die Wächter und dies zu des Königs Sicherheit.
Diese Stadt hier ist der perfekte Unterschlupf, dachte Abzigal. Niemand wird mich hier vermuten, nicht einmal Droandor.
Das hoffte er wenigstens...
Abschnitt 5 – Zwerge
Am nächsten Tag schlenderte er ein bisschen durch die Stadt.
Avendral ist wirklich riesig, dachte Abzigal. Die ganze Stadt zu durchqueren würde wohl Stunden, wenn nicht sogar Tage dauern.
Plötzlich hörte er Lärm aus einer kleinen Seitengasse. Er folgte dem Getöse, bis er schließlich an dessen Quelle landete. Eine Gruppe Zwerge waren in eine Keilerei verwickelt.
„...verdammt noch mal krank!“, hörte der Drache den größten der acht Zwerge rufen. „Gib uns jetzt verdammt noch mal diesen scheiß Goldbarren!“
Ein Zwerg mit einem großen, schweren Kriegshammer in der Hand brüllte: „Vergiss es, Kreand! Illean, fang!“ Er warf den Barren einem muskulös aussehenden Zwerg zu, welcher ihn auffing und sich damit aus dem Staub machte.
Ein Teil der Zwerge brüllte wütend auf. „Los Jungs, hinterher!“, bellte Kreand.
Der Teil, welcher eben rumgebrüllt hatte, fing an mit kleinen Schritten zu rennen. Und schon strömte der ganze Trupp hintereinander drein.
Zuerst erwog es Abzigal, den Zwergen hinterher zu stürmen, ließ es dann aber bleiben.
Ihre Angelegenheiten gehen mich schließlich nichts an.
Und mit dem Gedanken ging er aus der Stadt und flog davon...Direkt in das Gebiet von Droandor.
Abschnitt 6 – Abzigal & Avania
Abzigal hatte Glück: Die Drachen schliefen alle. Schnell ließ er den Blick durch die Dunkelheit sausen...Und da erblickte er sie: Sie lag im Gras und schlief.
Abzigal landete lautlos fast neben ihr. Er ging leise noch zwei Schritte vor, dann flüsterte er: „Avania?“
Ihre Lider hoben sich. Sie fixierte ihn mit gelben, in der Dunkelheit leuchtenden Augen. „Abzigal?“, sagte sie ungläubig. „Du? Hier?“
Er nickte. „Ja. Ich musste dich unbedingt wiedersehen. Es war einfach unerträglich ohne dich.“
„Aber...aber...“, stotterte sie. „Sie werden dich töten, wenn sie dich hier erblicken!“
„Das nehme ich in Kauf, wenn ich dich dafür wiedersehen kann“, meinte Abzigal und lehnte sich leicht an sie, wobei Abzigals Schuppen mit etwas Feuchtem benetzt wurden: Tränen.
„Hey“, sagte Abzigal mit leiser, beruhigender Stimme. „Sie werden mich schon nicht töten, da sei dir sicher.“ Da sie dies nicht zu beruhigen schien (sie weinte einfach weiter), meinte Abzigal: „Komm, hör auf zu weinen, Avania, sie töten mich ganz sicher nicht, glaube mir.“
Abzigal spürte, dass sie ihn mit einem Blick fixierte, der sagte, dass sie ihm keinen Glauben schenken wollte.
Der Drache seufzte leise. „Du glaubst mir nicht, nicht wahr?“ „Nein“, war die Antwort aus der Dunkelheit. In Avanias Stimme schwang kaum merklich Besorgnis mit.
Plötzlich war Abzigal wütend. „Es ist doch wohl meine Sache, was ich tue und lasse, oder nicht? Wenn man mich umbringt, ist es mein Problem! Ich liebe dich nun mal!“, bellte er.
Und plötzlich war er still. Zu still. Er lauschte angespannt und wartete auf ein Geräusch. Er hoffte, sich verhört zu haben, doch da war es wieder, dieses Geräusch: Außer ihnen war noch jemand wach...
So schnell er kann, flog Abzigal los.
Mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit habe ich die anderen Drachen mit meinem Gebrüll geweckt, dachte er panisch. Wenn sie meine Stimme erkannt haben, dann bin ich geliefert.
Nach über eineinhalb Stunden kräftezerrendem Flug sank Abzigal langsam ab und landete in einem großen Wald.
Erschöpft rollte er sich auf dem Boden zusammen und schlief sofort ein.
Abschnitt 7 – Avania
Es war Mittag, als Abzigal erwachte. Trotzdem fühlte er sich so, als hätte er überhaupt nicht geschlafen.
Gähnend richtete er sich auf. Jeder einzelne Knochen tat ihm weh und Hunger nagte an ihm wie Ratten an einem Stück Käse.
Er wusste, er hätte sich gestern nicht mit Avania treffen sollen, aber er musste sie einfach wiedersehen.
Er guckte sich um. Es war kein Geräusch eines Tieres zu vernehmen. Auch zeigte sich kein Tier ihm gegenüber, was kein Wunder war, Drachen waren schließlich die riesigsten Lebewesen auf Erden. Kein Tier würde sich ihnen gegenüber offen zeigen, außer vielleicht andere Drachen, Elfen oder Orks.
Elfen und Orks aber auch nur, wenn sie wussten, dass der Drache gut oder böse ist. Orks würden sich nie mit einem guten Drachen verbünden, sowie sich Elfen nie einem bösen Drachen anvertrauen würden.
Es war still. Zu still. Abzigal lauschte. Kein Geräusch war zu hören, außer das Flüstern des Windes in den Blättern.
Es wurde langsam Nacht. Der Tag war rasch vergangen. Den ganzen Tag über konnte Abzigal an nichts Anderes denken als an Avania.
Ich würde sie zu gern wiedersehen, dachte der Drache traurig.
Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Schritte. Irgendjemand war hier. Er war nicht allein.
Die Schritte wurden lauter und mit jedem Schritt, der zu hören war, wuchs auch Abzigals Unruhe und seine Aufmerksamkeit steigerte sich.
Und plötzlich war es wieder totenstill.
Der Drache spähte in die absolute Dunkelheit. Da stand eine schlanke Gestalt. Ein Mensch.
Die Person trat einen Schritt vor, direkt in einen schwachen Mondlichtstrahl.
Abzigal starrte den Menschen an. Er wollte etwas sagen, doch er war zu überrascht, um auch nur ein Wort herauszubringen.
Endlich machte er den Mund auf und presste ein ungläubiges „Avania?“ hervor.
Seine Freundin schien genauso überrascht. „Abzigal!“, rief sie freudig. „Ich...ich habe mich auf die Suche nach dir gemacht, ohne Hoffnung, dir wirklich zu begegnen! Und jetzt bist du hier!“
Abzigal nahm ebenfalls menschliche Gestalt an und fiel Avania freudig um den Hals.
Avanias Lippen berührten die seine. Als sie sich wieder voneinander lösten, strahlte Avania ihren Freund freudig an. „Du glaubst nicht, wie froh ich bin, dich wiederzusehen, Abzigal!“, rief sie.
Abzigal nickte. „Doch, ich kann das nur zu gut nachvollziehen.“
Plötzlich hörten Beide ein Knurren. „Abzigal“, ertönte eine tiefe Stimme.
Abzigal drehte sich um, und starrte in die Dunkelheit.
Die Stimme sprach weiter: „Droandor hat Avania verboten, dich zu treffen. Das weißt du genau!“, donnerte sie. „Ich habe euch belauscht. Die ganze Zeit über.“
Abschnitt 8 – Petzte oder nicht?
Avania und Abzigal stockte der Atem.
„Larssen?“, sagte Avania zaghaft. Ein Knurren ertönte und Abzigal wusste, dass sie Recht hatte.
„Ja“, sagte die Stimme. „Aber ich werde Droandor nichts verraten.“
Und nach diesen Worten war es wieder still.
Abzigal spürte, wie Avania ihn in der Dunkelheit anstarrte. „Larssen hat uns belauscht?“
Abzigal zuckte mit den Schultern, sagte jedoch gleich darauf „Anscheinend schon“, da ihm klar geworden war, dass Avania seine Bewegungen in der Dunkelheit mehr erahnen oder spüren als sehen würde.
„Aber wieso sollte er dies tun?“
Abzigal überlegte kurz. „Vielleicht, um sich bei Droandor einzuschmeicheln. Du kennst ihn doch, er denkt, er wär unser aller Liebling, wir alle würden ihn mögen.“ Er schnaubte laut und verächtlich. „Wenn Larssen dies tun würde, will ich mich lieber in den sicheren Tod stürzen, als noch weiter etwas mit ihm zu tun zu haben!“
Nach einer Zeit sagte Avania: „Woher willst du wissen, dass Larssen sich nicht immer noch ganz in unserer Nähe befindet? Wieso bist du dir so sicher, dass er weg ist?“
Abzigal antwortete: „Ich bin mir dessen nicht sicher, aber es wäre mir letztendlich auch egal, wenn er all diese Worte zu hören bekommen würde.“ Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: „Er ist nun mal ein fieser, strohdummer Mistkerl.“ Das letzte Wort betonte Abzigal besonders. Es schien ihm große Freude zu bereiten, sich (hinter Larssens Rücken?) über ihn lustig zu machen.
„Du magst es, über ihn zu lästern, nicht wahr?“ Abzigal spürte, wie sie ihn anguckte, sah ihre gelben Augen in der Dunkelheit leuchten.
Der Drache überlegte, ob er auf diese unangenehme Frage antworten sollte. Ja, er mochte es, sich gelassen über Larssen auszulassen, jedoch: Sollte er es wirklich zugeben?
Schließlich sagte er „Ja“, da er erkannt hatte, dass er Avania nichts vorlügen konnte. Sie würde es sowieso merken.
Avania meinte: „Glaubst du wirklich, dass Larssen Droandor nichts erzählt?“
Abzigal schüttelte den Kopf. „Er würde jede Gelegenheit nutzen, um sich bei Droandor einzuschmeicheln. Du kennst ihn. Wenn Droandor erfährt, dass wir uns heimlich treffen, dann sind wir“, Abzigal stockte kurz und verbesserte sich gleich, „bin ich tot und er würde als Held dastehen. Außerdem würde er darauf bestehen dich zu heiraten.“
Avania schnaubte. „Das würde er bitter bereuen!“ Und nach kurzer Pause fügte sie vorsichtig hinzu: „Sollten wir ihn dann nicht vielleicht davon abhalten?“
„Und wie? Willst du ihn umbringen?“
„Keine schlechte Idee!“ Aus irgendeinem Grund war Avania in Rage. „Wenn er dich umbringt, dann bringe ich ihn um, da verlass dich drauf!“
„Und wieso bist du jetzt so hitzig?“, wunderte sich Abzigal. Avania meinte, dass sie die Idee, dass Larssen sie heiraten will in Rage versetzt hatte. Daraufhin nickte Abzigal, schwieg aber.
Abschnitt 9 –
Als die ersten Sonnenstrahlen Abzigals Gesicht trafen, wachte er auf. Er hatte die Nacht bei Avania geschlafen. Sie schlief noch tief und fest, als Abzigal aus der Höhle ging, um Nahrung für sie Beide zu besorgen.
Draußen spannte er die Flügel und flog in einen nahegelegenen Wald. In Raganwood angekommen sah er sich um. Der alte Wald war düster und wirkte auf Menschen sicherlich furchteinflössend mit seinen alten knorrigen Bäumen, welche mit den Ästen nach einem zu greifen versuchten. Der Waldboden war übersät mit alter, modriger Erde und gammeligem, trockenem Laub. Nebel umgab die Bäume. Seltsam, wunderte Abzigal sich. Außerhalb des Waldes ist es doch sonnig.
Abzigal suchte den Waldboden nach Anzeichen eines Tieres ab. Er hatte Glück: Kurze Zeit später hört er Etwas aus einem Gebüsch kommen.
Als er das „Tier“ sah, stockte ihm der Atem. Er hatte noch nie etwas ekelerregenderes gesehen: Das Wesen war etwa doppelt so groß wie Abzigal selbst, Hautfetzen hingen von seinen überlangen, spindeldürren Fingern bis hin zu den Knien. Aus seinem Mund hing etwas undefinierbares ekelig – schleimiges, was höchstwahrscheinlich so etwas wie die Zunge des Dämons darstellen sollte. Aber das Schlimmste waren seine Augen: Sie hatten keine Pupillen und waren einfach nur grau. Trotzdem schien das Wesen etwas sehen zu können. Es bewegte sich mit seinen langen, dünnen Beinen zielstrebig auf Abzigal zu.